Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Immernacht

Wie ist es wohl, nun als Schreibende blind zu sein? Du beschreibst mir am Telefon das Fliegen der Pappelsamen, die Geräusche der Blätter. Nur die Pappeln können so singen. Ich liebe sie auch, diese Bäume. Wie sie einmal im Jahr die Erde mit weißem Flaum bedecken. Wie sie im Wind treiben, diese flauschigen Samenbündel.

Wie ist es nun nur Finsternis zu sehen? Jetzt bist du blind. Es ist mir elend, mir das vorzustellen. Die Bücher liegen um dich herum. Keines kannst du jetzt mehr lesen. Kein Gedicht mehr schreiben. Keine Briefe an mich und keine Antworten von mir. Deinen Roman kannst du nicht mehr bearbeiten. Finsternis vor deinen Augen. Aber dein Herz, das strahlt dennoch, dein Gemüt bleibt lieb und freundlich. Keinen Groll hegst du, sagtest du. Ich lese dir Gedichte vor, um dich zu trösten. Lange Gespräche über Gott und die Welt. Dabei telefoniere ich gar nicht so gerne. Ich schreibe lieber...Dein mir geschenkter hölzerner Elefant glänzt im Sonnenlicht. Warum du...ausgerechnet? Wo du doch sowieso so ein schweres Leben hattest. Pflegeeltern, Heime, abgegebenes Kind. Trümmerkind. Trotzdem bist du so eine Seele von Mensch geworden. Letztendlich brachte dir die Angst die Finsternis. Die Angst hat genug Angst gemacht. Und du hast geglaubt, dieser versprochenen Sicherheit.

Irgendwo vergrub ich meinen Kopf nach dem Gespräch in der Luft. Ich hab wohl zu lange darauf gehofft, es käme irgendwann in den Wolken eine Utopie vorbei geflogen, die dann niederregnen würde. Irgendwas, was dich trösten könnte. Glauben wir daran, was noch nicht ist, damit es werden kann, sagte ich einmal. Im Grunde seh ich das immer noch so. Aber glauben ist das Eine, Werden das Andere. Es wird aber nicht. Ganz im Gegenteil. Nach den Wahlen kommt der Herbst und dann wird es weiter getrieben werden. Warum überhaupt sollte man noch Versprechen glauben? Man dürfe ja schließlich nicht erwarten, dass all die Versprechungen nach der Wahl auch umgesetzt würden, so schallte es aus der Politik. Jedes Jahr dieser Zirkus mit dem heutigen Ergebnis des Zerfalls der Menschlichkeit. Ja -Ja-Ja-Nein-Nein-Nein...Es wurde sich ver-sprochen.

Drum lebe ich jetzt im Kopfexil. Ich zelebriere mein herrliches Alleinsein, meine Schreibeinsamkeiten, suche Stille, Ruhe. Ging ich gern ins Café, zum Beobachten, zum Schreiben, einfach, um die Seele baumeln zu lassen, so treibt es mich heute eher weg davon. Nicht nur, weil das Gefühl dafür nicht mehr vorhanden ist. Vielleicht wird es mal wieder anders. Jetzt aber ertrage ich das nicht. Zu viel ist geschehen. Ich frage mich, was wohl noch so alles passieren könnte, wobei mitgemacht würde. Schauer laufen mir über den Rücken. Ach, was gab es alles für Debatten, für einen Stolz und herausrückender Brust: Wir sind doch so tolerant, so aufmerksam, so achtsam und sozial. Denkmäler und Denktage, Fahnen und Kränze, Trauerminen und wieder Stolz...Die Menschen haben doch schließlich gelernt aus der Vergangenheit. In den Schulen lehrte man Wissensdurst, kritisches Hinterfragen und sensibilisierte gegen undemokratisches Verhalten oder Gefahren. Heute wird das bestraft. Man zitierte Rosa Luxemburg, Gandhi, las Hannah Arendt und Borchert oder beschäftigte sich später mit Fritz Bauer. Schulen und Straßen haben berühmte Namen. Und was nützt es?

Lindgren und Kästner lesen. Was ist denn davon übrig?

 

Bild und Text Lotta Blau, 06/2021