Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Tage wie diese

Schuld, der Sinn des Selbst-Denkens, Vergebung und Cafés

Café Röstzeit in Düsseldorf Benrath. Nachmittags. Einige ältere Damen und Herren am Nachbartisch. Sie unterhalten sich, als wären sie allein. Es ist der neunzehnte Februar zweitausend vierundzwanzig. Seit langem sitze ich mal wieder in einem Café und schreibe. In letzter Zeit haben viele Cafés geschlossen. Mein Lieblingscafé ist heute eine Pizzeria. Edel zwar, mit weißen Tischdecken und Kerzenständer und immer noch einer Bar. Aber mein Café kann es natürlich nicht ersetzen. Mein Café hatte einen Lieblingsplatz in der Ecke, an der Wand, mit Blick zur Straße. Es hatte einen Hund und eine Katze. Das Fell des Hundes roch manchmal streng, wenn er zwischendurch draußen im Regen war. Die Katze war ein Buddha. Sie störte nichts, hatte ebenfalls neben meinem Lieblingsplatz ihren. Ihr reichte dazu eine Decke auf dem Boden. Diese Katze war Menschen gewohnt, schnurrte oft um die einen Beine, um dann zu den nächsten zu wechseln. Diese Katze schien glücklich zu sein. Wir Menschen interpretieren immer etwas in alles hinein. So sind wir eben. Ich glaube, Tiere spüren Glück, aber können es nicht so definieren, wie wir Menschen.

Das Leben ist wohl zu kurz für das Glück und zu lang für den Schmerz, so scheint es. Doch das kommt eben daher, dass schmerzvolle Erfahrungen in uns wie ein Widerhaken sind. Und das Glück, oder besser glückliche Momente, als zu wenig in Erinnerung bleiben, weil eben das Negative das Schöne so oft in eine kalte und finstere Ecke stellt. Wir scheitern immer wieder im Leben. Leiden daran, doch im Grunde ist es doch nur der lange Prozess des Verarbeitens in dem wir verhangen sind. Wie wäre es von vornherein zu sagen: Wir müssen sogar immer wieder scheitern, weil all das Scheitern aus Situationen geschieht, die wir vorher nicht wissen konnten! So, wie wir völlig irrational die erste Liebe erlebten und gefühlsmäßig überrumpelt von ihr waren. Wir wussten doch damals nichts. Jede Erfahrung fehlte und wenn man so will musste es sogar scheitern. Im Scheitern inbegriffen sind ja die Fehler. Aus diesem Wissen der Unwissenheit des Individuellen, des Erlebens, des Handelns und des Chaos in jener Phase kann sich auch selbst verziehen werden.

Erlebnisse sind oft nur Millisekunden, die all unser Handeln überdecken. Kein Erlebnis gleicht einem anderen, aber in jedem können wir aus eben dieser Unwissenheit Fehler machen und darum ist es zumeist  falsch sich mit Schuldgefühlen zu bestrafen. Doch, es ist durchaus möglich sich selbst zu verzeihen! Das persönliche Gericht existiert in uns selbst! Manchmal bestraft es Jahre, obwohl es ein Fehlurteil ist, manchmal fällt das Urteil zu schnell und scheint unumkehrbar und manchmal halten Erlebnisse Menschen ihr ganzes Leben hinter Gitter, weil sie sich selbst bestrafen, für etwas, was nicht in ihrer Macht lag, aber sie sich verantwortlich fühlen bzw. fühlten. Um aber immer und stets adäquat zu reagieren, müssten wir unser gesamtes Leben vorher kennen. Nun, jeder Mensch weiß, dass das unmöglich ist. Wissen Sie, das ist unter anderem Glück für mich, die Erkenntnis, dass es aus all diesen Gedanken-Schlaufen Wege für jeden Menschen geben kann. Wohlgemerkt meine ich nun nicht strafbare Handlungen im Sinne gegen das Gesetz! Ich meine die ganz persönlichen Erfahrungen des Lebens! Noch ein Beispiel: Letztens war ich einem anderem Café, ebenfalls in Benrath. Wie gesagt: ich suche momentan einen neuen Wohlfühlort in einem Café. Es war dort auch recht angenehm. Es kam eine Mutter mit ihrer Tochter. Dreieinhalb Jahre alt, sagte sie. Die Mutter gab die Bestellung auf, das Kind redete aufgeregt dazwischen. Als der Kellner gegangen war, wies die Mutter das Kind zurecht. Freundlich, aber bestimmt. Das Kind müsse dann erst mal still sein und dürfe nicht immer dazwischen reden. Für ihr Alter schien mir das Kind geistig sehr wach und weit. Die Mutter hatte wohl aus ihrer Sichtweise recht, doch aus der Perspektive des Kindes nicht, denn Kinder haben noch kein Zeitgefühl, wie Erwachsene. Also plaudern sie oft drauflos. Besser wäre es gewesen, sie hätte dem Kind erklärt WARUM sie still sein soll. Nämlich weil der Kellner die Mutter sonst  nicht verstehen kann. So aber, ist es für das Kind, als hätte es an etwas schuld. Und in Kindern setzt sich so etwas oft fest. Schuld. Aus Schuld können Unsicherheiten und Ängste erwachsen. 

Kinder sind für mich im Übrigen auch nicht zu erziehen, sondern zu begleiten und anzuleiten. Erziehen ist ein furchtbares Wort. Wie etwas, was man an der Leine passend dahin zieht, wo es dann sein "verzogenes" Wesen präsentieren  muss.

Im Hinterhof vom Café durfte noch geraucht werden. Eine Seltenheit heutzutage. Es gab gutes und reichliches Essen. Ich war mit meinem Sohn dort gern und oft zu Gast oder mit Freunden oder auch oft allein. Vielleicht sagen das viele Mütter: Aber ich könnte mir keinen besseren Sohn wünschen!  Jederzeit und für immer würde ich mich schützend vor ihn stellen, insofern er das benötigen würde! Da bin ich wie eine Löwin!

Auf der Suche nach einem neuen Lieblingsplatz bin ich nun im Café Röstzeit gelandet. Ersetzen kann es das Café Ballon nicht. Röstzeit ist karg, aber sinnvoll eingerichtet. Auf den Seiten liegen Kaffeesäcke aus Jute. Das hat was, finde ich. Ich denke an mein Lieblingscafé in Wien, das Maria Treu. Vielleicht bin ich hoffnungslos sentimental, aber ich hab mich mit all den Schrammen, den Blessuren an den Tapeten, dem ewig Kaputten...damit hab ich mich wohl gefühlt, weil all dies nicht in die heutige Zeit passt.Weil es seinen eigenen Charakter hatte. Weil all das überdauert hat.Trotzig...gegen all den Neukram des Einheitlichen!  All dieses hat sozusagen die heutige Zeit verpasst. Jeder Kratzer hatte seine Geschichte. Es bewahrt sich in all den Blessuren die Zeit, als wäre sie darin festgehalten, wie auf Fotos oder in Filmen. Dieses Café habe ich auch in meinem Roman (Nie) wieder Finsterland verewigt. Dabei fällt mir ein, dass ich ihn noch einmal überarbeiten möchte. Einmal schrieb ich an einen Autor, der für sich ebenfalls den Selbst-Verlag entdeckt hatte. Er ärgerte sich über die Rechtschreibfehler, die ihm passiert waren: Lektoren sind wir nicht und das ein oder andere rutscht durch...Na und? Passiert auch den Verlagen, ja selbst wenn ich Nachrichtenticker lese...gestehen wir uns doch einfach den ein oder anderen Patzer... schließlich ist der Inhalt und dessen Aussage doch das Wichtigste.(...) Alles doch menschlich, oder? Nichts wofür man sich schämem müsste. Mir sind sogar Legastheniker bekannt, die schon einige Bücher geschrieben haben. Das finde ich groß!  Nicht unterkriegen lassen!

 In meiner Unvollkommenheit habe ich auch schon für einen anderen Autoren bzw. eine Autorin im Selbstverlag (BOD) Bücher erstellt. Unentgeltlich. Ich hatte einfach auch Freude daran, auch wenn ich manchmal genervt war, wenn wieder einmal etwas nicht so klappte, wie ich es mir vorstellte. Am Ende waren alle glücklich. Ich war von den Texten überzeugt und das musste doch für andere auch zu lesen sein. So zum Beispiel Texte von Thomas Neumeister Macek, mit dem ich auch eines zusammen erarbeitet habe. TIERLIEBE heißt es. Mit Thomas verbinden mich Literatur, Menschlichkeit und eine platonische Innigkeit. Für mich ist er neben Margarete, einer Bekannten aus Wien, der liebste Mensch auf Erden. So sind auch seine Texte, obwohl manche davon auch ordentlich voller Kritik stecken. Also politisch sind. Margarete ist heute fast blind und kann nur noch bedingt schreiben. Mit großer Mühe. Margarete und Thomas sind beide auch auf unserer Kunst-Gammler-Seite zu finden. Beide geben den Menschen viel, mit ihrer Literatur und auch ihrer Art. Warum sollen sie nicht auch einmal etwas zurückbekommen...

Ich höre den Menschen im Café zu. Irgendwie gleichen sich die Gesprächsinhalte oft. Es geht um Reisen, um Nachbarn, um gescheiterte Ehen und Beziehungen, um Ärzte und Krankheiten, um Preise und manchmal auch um Tiere. Oftmals wird auch gar nicht geredet. Dann sehen sich zum Beispiel zwei Menschen nicht einmal an. Sie sitzen sich gegenüber und starren auf ihre Handys, als wären sie mit der Technik verheiratet. Nun, in Beziehung sind sie damit sicherlich. Wäre es nicht schön, wenn es mal um die Zusammensetzung von Wolken ginge, oder wenn dem einen mal nach zehn Jahren die Augenfarbe des anderen auffiele oder wenn es mal um Philosophie ginge.

Vor langer Zeit hatte ich mal versucht eine philosophische Runde aufzubauen. Ich hatte die Vorstellung sich vielleicht einmal im Monat zu treffen, in einem Lokal, einem Café. Natürlich hatten sich Menschen gemeldet, die interessiert waren, allerdings wollten sie nur Einzelgespräche oder nur einzelne Richtungen, wie den Buddhismus behandeln. Aber das war nicht meine Intention, sondern mir war das Selbst- Denken wichtig. Nicht hundertmal ein Zitat wiederholen, sondern selbst eine Basis schaffen. Zitate gehören zu dem Gerüst, an welchem wir uns festklammern. Aber selbst und unabhängig Gedanken auf den Weg zu bringen, das ist etwas anderes, etwas Schwereres. 

Zitate und das Denken darüber sind wichtig, stimmt. Ich schließe mich da nicht aus, aber was bewegt es denn wirklich in jeder/ jedem Menschen selbst? Ich habe einmal einen Text geschrieben, in dem eine alte Frau viele Jahre zu Weihnachten einen Kalender mit Zitaten bastelte und sich fragte, ob das überhaupt noch einen Sinn macht, da die Welt ja schon wieder vorm Abgrund steht und das Miteinander ebenso. Die in ihren Augen klügsten Worte suchte sie jeweils aus und doch entglitt ihr der Wunsch nach Frieden und Leben immer mehr.

Ich meine die Sinnhaftigkeit des Selbst-Denkens ist doch entscheidend. Diese inneren Prozesse, dieses Verinnerlichen. Und es ist auch eine Art Widerstand gegen all die Manipulationen, denen  alle ausgesetzt sind. Man muss erst aufstehen, um sich Wi(e)dersetzen zu können!, schrieb ich einmal. Das gilt ganz besonders für den Geist! Einen Gedankengang ganz allein formen. Dadurch kann Neues entstehen. Gedanklicher Fortschritt, sozusagen, nein, mehr als das: Individualität. Hannah Arendt brachte den Verlust der Individualität einst in : Die Banalität des Bösen ein. Bezog sich auf ganz bestimmte Punkte und Vorgehen, um das Böse in Gang zu setzen und zu manifestieren. Natürlich gehörte dazu unter anderem  auch das Entrechten von Menschen. Arendt wurde manchmal falsch verstanden. Es gibt jedoch Gespräche mit ihr, in denen sie es richtig stellt. Keinesfalls wollte sie das Böse banalisieren.

Wiederholen von Zitaten und schon Gedachtem können zu Gedankenschlaufen führen. So, wie uns negative Erlebnisse immer wieder beschäftigen und zu solchen Schlaufen führen können. Immer und immer wieder. Je nachdem vielleicht auch mit Schuldgefühlen verknüpft. Das Gehirn kann keine Lösung finden und dann kann es m. E.passieren, dass auf lange Zeit daraus depressive Phasen oder gar Depressionen entstehen, ja Menschen sich in Süchte fliehen, um eben diesen Prozessen zu entfliehen. Nun ja, meine Idee vom philosophischen Treffen ist wirklich lange her. Gibt ja auch immer noch die Meinung, es wäre alles schon einmal gedacht. Nun, was wäre dann? Dann gäbe es den so vielgepriesenen „Fortschritt“ überhaupt nicht, der ja eben auf neuen Ideen, also Gedanken, aufbaut, oder?

Veränderungen müssen aus jedem Menschen selbst kommen. Von innen heraus. Ich nannte es einmal die einzig wahre Revolution, die auf Dauer Bestand haben könnte. Auch solche Laster betreffend, wie etwa das Rauchen. Niemand hat das Recht anderen vorzuschreiben, dieses zu lassen. Sicherlich kann es Ratschläge, gutes Zureden oder auch Mahnungen bezüglich Krankheiten geben, doch letztendlich ist es die alleinige Entscheidung des Rauchers oder der Raucherin zur Zigarette zu greifen oder nicht. So gäbe es viele Beispiele zu nennen. Natürlich gibt es zum Beispiel viele Argumente gegen Fleischverzehr und heute viel mehr Aufklärung über die Zustände der Tierhaltung und Schlachtung. Aber ich bin nicht berechtigt dazu es anderen zu verbieten. Das wird aber versucht und es bringt gar nichts, eher noch mehr Trotz und gegenseitigen Hass. Nein, eine Änderung kann nur aus und in jedem selbst kommen. Ich verbitte mir ja auch jegliche Einmischungen wie ich privat zu leben habe, was zu tun oder lassen sei. Das betrachte ich als übergriffig. Argumente ja, gerne, Gespräche  ja, gerne...aber ich entscheide. Wenn mich etwas überzeugt oder mich berührt, warum sollte ich dann nicht darauf eingehen?

Alles ist eben Veränderung. Die Liebe zum Beispiel durchläuft die größten Veränderungen und das jeden Tag. Sie ist die große Unbekannte in der Mathematik des Herzens und die Bekannte der gemachten Erfahrungen. Wer könnte sich schon davon freisprechen keine Fehler darin gemacht zu haben? Rückblickend sagen viele Menschen dieses und jenes würden sie heute anders machen. Ja, vielleicht könnte das so sein, und doch auch wieder nicht, denn niemand kann aus Erfahrung handeln, wenn eben diese fehlt. Schließlich ist auch der Mensch mehr, als die Summe seiner Handlungen.

Nein, einen wirklichen Ersatz für meinen Cafe-Lieblings-Platz hab ich nicht gefunden. Noch nicht. Ich werde doch hoffentlich nicht nach Euskirchen zum Markt-Cafe fahren müssen? Kleiner Scherz. Aber dort war es im Sommer immer herrlich. Spatzen und...ja, Wespen. Ich lasse sie mit frühstücken, sie naschen von der Marmelade auf dem Löffel und verschwinden wieder. Mich hat noch nicht eine einzige gestochen. Zum Glück bin ich auch nicht allergisch. Die Panik von Allergikern kann ich schon verstehen. Ansonsten hilft es einfach ruhig zu bleiben, nicht anpusten und bisschen teilen...keine Angst! Bevor man trinkt oder isst überprüfen, ob nicht eine irgendwo drauf oder drinnen sitzt!

Lotta Blau/2024