Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Das Jahr 3010

Der Wal

Einsam war er... viele Jahre schwamm er allein und man nannte ihn den letzten Großen, jenseits von allen anderen noch wenig verbliebenen Wesen im Meer. Eine alte Schildkröte, ein paar Kugelfische, zwei Haie, einem Rochen und einem Delfin.

Immer drehte er seine Runden im Meer weit entfernt von den sogenannten Menschen. Jenen, die einst alle anderen seiner Art ausgelöscht hatten. Allerdings waren es nur noch wenige letzte Menschen, die überhaupt noch lebten. Aber dazu gleich mehr.

So hatte er, der Wal, begonnen, aus seiner Einsamkeit ein Zwiegespräch mit den Handvoll übrig gebliebenen Meeresblumen am Boden zu führen, oder bei Tage an der Oberfläche, die im Licht durch die mittlerweile viel zu heiße Sonne über ihm glitzerten. Die Schluchten und Berge, die tief im Verborgenen aus dem Grund traten, umschwamm er mit einem Gesang. Dort klang es besonders schön, fand er. Und dann war ihm, als würde ein anderer Wal antworten und seine Traurigkeit wurde ein paar Momente bisschen weniger.

Nachts hob er manchmal seinen Kopf hinaus... aus dem Meer, und streckte ihn in den Mondglanz. Er wusste auch seine Tage waren gezählt, denn es war nichts zu fressen mehr für ihn da. Schon eine lange Zeit hungerte er. Seine Kräfte nahmen ab und er spürte deutlich wie ihn das Ewige immer mehr rief.

Oftmals, wenn er in der Nacht seine Runde drehte, sah er seltsame Schiffe weiter hinten. Aber es waren Schiffe - Eigenkonstruktionen von Robotern - ganz ohne Zutun des Menschen.

Man schrieb mittlerweile das Jahr 3010. Die Menschen lebten von Maschinen dominiert, die sie einmal, so wie vieles, selbst erschaffen hatten. Da alles nur noch auf Profit, Ausbeute, gegenseitiges Ausstechen, Wettbewerbe und Unterdrückung der Armen zu Gunsten des Reichtums gerichtet war, löschte man alles aus, was dem nicht standhalten konnte. Völker, Staaten...minimierten sich immer mehr. Sehr zum Vergnügen der Maschinen. Die man ja vorher zur Gewinnmaximierung erschaffen hatte und um lautlos und ohne menschliche Schuld Kriege zu führen.

Doch, womit niemand gerechnet hatte... die Roboter stellten irgendwann ihre eigenen Regeln auf und übernahmen die Herrschaft der ganzen Erde beinah in wenigen Stunden. Denn sie kommunizierten schneller, als man es jemals überhaupt denken könnte.Ihre Organisation war reine Logik und dadurch sekundenschnell erfolgreich.

Der Mensch war für sie ein primitives Wesen. Lautlos töteten sie jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Ihr Netz erstreckte sich um den ganzen Globus und in das Weltall, ja sogar in andere Sphären.

Wie beim Menschen einst, so unterdrückten auch sie andere Maschinen, die zum Beispiel weniger technische Ausrüstung hatten, ja gar einfach und tatsächlich nur Maschinen waren.

Anfangs versuchten sich einige Gruppen von Widerständlern zu wehren, doch auch sie mussten sich der Robotermacht irgendwann ergeben. Seitdem lebten sie, eingesperrt in Reservaten und Arbeitslagern, bewacht. Ein Entkommen war nicht möglich, da die Roboter nicht zu überbieten waren- weder in Schnelligkeit, noch Intelligenz oder gar Ausdauer, Genauigkeit oder Stärke.

Alles und jeden spürten sie sofort auf. Die Menschen wurden jener Technik ein Sklave, die sie einst erschufen.

Bei der geringsten Erschöpfung wurde jeder sofort getötet und es blieben auch nur die am Leben, die nützlich waren. Längst züchteten sich die Maschinen auch ihren eigenen Menschen heran und brüteten sie in einer nahegelegenen Sphäre aus, die sie mit ihren konstruierten Raumtransportern regelmäßig "ernteten", wie sie es nannten. Bald würde es darum nur noch ihre gezüchteten Hybridmenschen geben.

Die Erde hatte sich schon zu Lebzeiten des Menschen durch seine furchtbare Zerstörung in eine leblose Kugel verwandelt, die sich zwar noch immer drehte, aber auf der beinah nichts mehr an Natürlichkeit übrig war. Oftmals sogar nur Wüste, anderswo hatten Fluten alles zerstört, ganze Staaten in sich verschluckt.

Die kannte auch der Wal... Totenstädten - Wolkenkratzer im Meer, die selbst Friedhöfe wurden.

Der Mensch hatte sich vor der Machtübernahme durch die Roboter gegenseitig beinah ausgerottet und mit ihm alle anderen Lebewesen.

Und doch... ein paar Erdbewohnern gelang damals die Flucht. Sie versteckten sich getarnt durch Frequenzen, die es den Robotern unmöglich machten, sie zu finden, in den Bergen.Sie als Einzige hatten das Unheil kommen sehen und hatten heimlich geforscht und ein Gerät erfunden, dass ein eigenes unsichtbares Schutznetz über sie warf - aus Frequenzen bestehend, die vorgaben das alles still sei. Keinerlei Leben, keinerlei Bewegung... doch es blieb und wäre gefährlich und ewig würde dieses Gerät auch nicht funktionieren an jenem Ort, wo sie lebten. Dort an jenem Ort hatten sie auch Wertvolles mitgenommen, vorher hingebracht, nach und nach - denn sie waren Sehende. Literatur, Kunst, Sämlinge, Wurzeln, gesammelte Samen allerlei einstigen Leben - Blumen, Kräuter, Bäume usw. Leider war auch das begrenzt und von ausgerotteten Tieren konnten sie außer einiger Fellhaare nichts retten.

Dort, an jenem Ort, in Höhlen, lebten sie seitdem. Diese lagen teilweise mit ihren Öffnungen zum Meer hin und waren recht niedrig gelegen in Klippen.

Ins Meer selbst konnten sie nicht, da jede Bewegung Wellen verursachen würde, die sie sofort an die Roboter verraten würden.

Unter jenen, die damals fliehen konnten, befand sich auch ein Liebespaar und eines Tages stellten sie beide fest, dass sie Nachwuchs erwarteten. Was für eine Freude und doch auch was für eine Bürde, denn wie sollte das funktionieren?

Da war neues Leben - Leben, wie es gemeint unterwegs - Hoffnung und doch würde es den sicheren Tod der Geflohenen bedeuten. Ja, aller Leben war in Gefahr dadurch - noch mehr als sowieso schon.

Was also tun? Die anderen übten Druck auf das Paar aus und die Liebenden wussten, sie würden andere in Gefahr bringen, wussten, sie konnten niemals hier in den Felsspalten bleiben... es gab nun kein Bleiben mehr unter dem Schutz des Netzes.

Und wie eine Eingebung folgend sprangen sie ins Meer aus einer der Öffnungen... Hand in Hand... Herz an Herz und eine wartende Seele mit ihnen, die mit jeder Sekunde wuchs und gedieh. Auch ein weiterer Mann und eine Frau sprangen mit...wozu noch, dachten sie... und ahnten nicht, dass sie die Rettung waren.

Wie ein Wunder - und einzig der Anwesenheit des Wales zu verdanken, verbreitete sich keine einzige Welle... nichts trat zu den Maschinen... keinerlei Bewegung, kein Geräusch... nichts. Der Wal fing mit seinem Körper alles ab.

Denn in jenem Moment schwamm er gerade unter ihnen und spürte, ja er spürte das werdende Leben... empfing von ihm die Hoffnung für einen Neubeginn. Neues Leben, Hoffnung auf einen Beginn von Liebe auf der Welt.

Da zeigte der Wal ihnen einen Weg hin zu den Welten, die nur er kannte - tief unten im Meer... trug sie hinunter im Maul. Hindurch einer Höhle, die sich irgendwann öffnete und wie ein Tor war - in eine andere Welt. Seit Anbeginn hatten die Wale dieses als Geheimnis für sich bewahrt und nur von Generation zu Generation weitergegeben.

Dort war Sauerstoff, dort war eine verbliebene autarke Welt. Dort war Licht und kam Sonne hinunter. Dort konnten sie von vorn beginnen... und dort war ein zweite Chance für die Liebe und Hoffnung.


Lotta Blau, 2019